Automatisch gespeicherter Entwurf

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Nach eigenen Regeln spielen

100 Drittklässler sind zum Fairplay-Völkerball-Cup angetreten. Gespielt wurde ohne Schiedsrichter. Die Regeln hatten die Grundschüler selbst ausgehandelt. Und sie haben gelernt: Fairness zahlt sich aus.

In einer Ecke hocken 14 Kinder aus zwei Mannschaften auf Sportbänken. Sie schlagen vor: „Wir wollen nicht fischen, wir wollen keine Kopftreffer, jeder soll an den Ball, wir wollen ehrlich sein.“ Es sind Regeln für das Spiel, das die beiden Mannschaften gleich beginnen werden. Klara (15) und Toni (15), zwei Betreuerinnen, sind behilflich. Zu klären ist noch, was „fischen“ bedeutet. Dana (8) weiß es. „Der Ball muss im Spielfeld bleiben. Wenn er draußen ist, darf man ihn nicht nach drinnen schieben.“ Die Mädchen und Jungs stimmen ab – nur zwei der vorgeschlagenen Regeln sollen angenommen werden. Diesmal sind es „nicht fischen“ und „ehrlich sein“. Die Mannschaften laufen aus der „Dialogzone 1“ zum Spielfeld. Gespielt wird zehn Minuten. Die Betreuerinnen sind keine Schiedsrichter. Sie beobachten das Spiel, greifen nur im Notfall ein.

Nach der Spielzeit geht es in die „Dialogzone 2“. Wer hat gewonnen? Darüber wird diskutiert. Wie viele Punkte haben die beiden Mannschaften nach den üblichen Völkerball-Regeln bekommen? Und wie viele Punkte haben sie nach den Fairplay-Regeln? Klara übernimmt die Gesprächsführung. Sie sagt: „Ich fand, dass ihr alle ziemlich gut gespielt habt.“ Dann reden alle noch ein bisschen und addieren gemeinsam die Punkte. Allen ist klar: Es kann sein, dass eine Mannschaft nach Punkten gewonnen hat, aber Regeln missachtete. Dann verliert sie. Gewonnen hat dieses Spiel die Mannschaft „Fix und Foxie“.

Es ist ein Höllenlärm in der Jahnhalle, wenn auf dem großen Spielfeld auf beiden Seiten gespielt wird. Wettkampfstimmung ist angesagt, doch trotzdem ist es friedlich. Das bestätigt Marcel Rademacher: „Wenn wir eine Fußballtruppe gleichen Alters zu uns eingeladen hätten, das wäre hier ein brutaler Wettbewerb“, ist der Turnierleiter überzeugt. Fußball verbänden die Schüler mit Leistung und Versagen. Rademacher weiß, wovon er spricht – in seiner Freizeit ist er Fußballtrainer. „Unsere Gesellschaft ist insgesamt sehr auf Leistung angelegt, die Kinder stecken mittendrin“, sagt Rademacher. Streit und Konflikte seien zudem oft negativ besetzt, gerade bei den Eltern und Lehrern. Auseinandersetzungen könnten aber richtig geführt, Konflikte einvernehmlich gelöst werden. Deshalb hätten sich die Veranstalter – die Schulsozialarbeiter, die Gemeinde Remshalden, die offene Kinder- und Jugendarbeit und die Sportvereine – auf Völkerball geeinigt. Denn das spreche auf die Mädchen an. Dana (8) lernt in der 3. Klasse der Grundschule Geradstetten. Heute trifft sie auf die gleichaltrige Melissa aus der 3. Klasse der Grundschule Grunbach. Die beiden sitzen auf der Empore der Sporthalle. „Aber ich hab echt nicht geschummelt“, sagt Melissa. „Ein bisschen doch“, entgegnete Dana. Stellt sich die Frage, wie sie üblicherweise Streit schlichten. Auf dem Schulhof? In der Familie? Dana und Melissa machen es für ein Foto vor. Sie reichen sich die Hand. Melissa sagt: „Wir diskutieren es aus und sagen Entschuldigung.“ Und Dana sagt: „Wir klären es, wir geben die Hand oder umarmen uns.“ Die Fairplay-Regeln beim Cup finden die beiden „voll in Ordnung“. Schwierig sei nur, „wenn Freundinnen gegen Freundinnen spielen“ müssten.

Dass es nicht immer gelingt, mit friedlichen Diskussionen und einem Handschlag Konflikte zu lösen, zeigt die Statistik. Die Zahl der Straftaten an Schulen hat in Baden-Württemberg zugenommen. Prügeleien, Mobbing, Diebstahl: Im Jahr 2017 erfasste die Polizei 13 209 Straftaten an Schulen – das ist ein Plus von fünf Prozent im Vergleich zu 2016 und der höchste Wert seit fünf Jahren. Ein Sprecher des Landeskriminalamtes betont zwar, dass diese Daten sich lediglich auf die Schule als Tatort bezögen und nicht zwangsläufig auch etwas mit dem Schulbetrieb zu tun haben müssten. Kultusministerin Susanne Eisenmann reagierte dennoch schulintern: „Wir brauchen starke Schulgemeinschaften, in denen alle dazu beitragen, Gewalt zu verhindern.“ Sehr konkret befasst sich eine Publikation mit dem Titel „Grundschule und die Arbeit mit Kindern – Grundlagen – Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten“ mit Gewaltprävention. Der Autor Günther Gugel vom Institut für Friedenspädagogik Tübingen hat sie verfasst. Gewaltprävention sei eine pädagogische Grundhaltung und integraler Bestandteil einer guten Schule.

Carlo (9), Elias (9) und Julian (9) haben sehr unterschiedliche Freizeitinteressen. Carlo spielt Tennis, Elias ist leidenschaftlicher Mountainbikefahrer, Julian spielt Fußball. Beim Fairplay-Völkerball-Cup treffen sie aufeinander. Selbst Regeln aufzustellen, finden sie super. Sie einzuhalten, manchmal schwierig. „Den Ball an jemanden abzugeben, wenn man weiß, dass der schlecht im Spielen ist, fällt schwer, auch wenn es die Regel ist“, sagt Carlo ehrlich. Denn so verringerten sich die Chancen auf den eigenen Gewinn. Wie wichtig aber ist der Gewinn – in diesem Fall ein schlichter Pokal? Elias sagt: „Sehr wichtig“. Carlo entgegnete: „Ich bin nicht so scharf drauf“ und Julian findet: „Natürlich strengen wir uns an, aber wir übertreiben auch nicht.“ Auch diese drei Kinder zeigen, wie sie Konflikte lösen: „Wir gucken uns in die Augen, geben uns die Hand und sagen Entschuldigung“, sagt Julian.

100 Kinder, 16 Teams, die Namen tragen wie „Yakari“, „Shrek“, „Peanuts“ oder „Dori“, dazu 15 ältere Schüler als Betreuer. Die Schulleitungen müssen zustimmen, denn die Veranstaltung findet an einem Schultag statt und ist für die Kinder verpflichtend. Schulfrei bekommen haben die Betreuer. Franzi ist 14 und absolviert gerade eine Ausbildung beim CVJM. „Wir lernen viel über Kinder, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind, wie man individuell auf sie eingeht“, sagt sie. Toni, ihre Freundin, ist 15 und ebenfalls Betreuerin beim Fairplay-Völkerball-Cup.

Grenzsituationen, in denen Kinder in Konflikte geraten, wollen entschärft werden. Aber wie? „Manche Kinder sind nicht ganz ehrlich, andere traurig oder aggressiv, wenn sie verloren haben, darauf gehen wir ein“, sagt Toni. Ein Junge habe zum Beispiel auf dem Boden gelegen. Er war sauer, weil seine Mannschaft verloren hatte. „Ich habe ihn aufgemuntert“, sagt Toni. Erwachsene sollten Vorbild für Kinder sein. Dass das nicht immer klappt, komme auch bei Eltern vor. „Sie treten heute mehr als vor Jahren sehr anwaltlich für ihre Kinder auf“, sagt eine erfahrene Schulsozialarbeiterin.

Nach einem aufregenden Finale endet der Fairplay-Völkerball-Cup in der Jahnhalle mit einem Unentschieden der Mannschaften „Shrek“ und „Timon“, beide aus Grunbach. Der Pokal indes wird gerade von Klasse zu Klasse weitergereicht. Am Ende landet er in der Schulvitrine. Ein echter Wanderpokal.

Quelle: Gemeinde Remshalden